notabene – Denken… – oder eine bittersüße Betrachtung unserer Zeit

Denken… – oder eine bittersüße Betrachtung unserer Zeit

Viele Menschen würden eher sterben als denken.

Und in der Tat, sie tun es.

(Bertrand Russell, brit. Philosoph)

Zu gewagt? In einer Zeit, in der abgehalfterte Altstars und drittklassige Jungstars sich gegenseitig beim Würmer fressen und Kakerlaken zertreten um die Einschaltquote balgen und sich dabei auch nicht zu schade sind, Fische aus Plastikteichen im australischen Dschungel zu angeln und anschließend über Mord zu philosophieren, da frage ich mich schon, ob Russell vielleicht doch recht hatte. Dabei unterstelle ich weniger den Protagonisten im Dschungel mangelnden Geist; die sind eher abgezockt genug, auch dem dümmsten noch Kohle aus der Tasche zu ziehen, und sei es nur dadurch, dass diese überteuerte Servicenummern anwählen, um ihren Star weiterhin im Dschungel halten zu können oder nach dem ganzen Showspektakel das Gitarrengeschrammel alternder Griechen oder das Gekrächze eines Deggendorfer Spätpubertierenden in die Charts kaufen.

Aber während die Masse der Gesellschaft den Niedergang derselben proklamiert, und sich 4Millionen Arbeitslose begeistert darüber freuen in Zukunft von einer Agentur betreut zu werden, und nicht länger den Gang zum gelangweilten Beamten antreten zu müssen, während unsere Manager mit anderen vor Gericht darum streiten ob 111 Millionen Abfindung nun Peanuts sind oder nicht. Grüble ich darüber nach ob die Gesellschaft das Denken vielleicht verlernt hat. Sie hat es nie gekonnt? Nun, so weit will ich nicht gehen, denn ich glaube schon, dass früher mehr nachgedacht wurde. Die Frage ist nur woran das liegt?

Ein paar Beispiele:

Fernsehen. Ich erinnere mich noch gut an das Fernsehen der späten 70er und 80er Jahre. Kindersendungen der damaligen Zeit waren „Neues aus Uhlenbusch, Sesamstraße, Sendung mit der Maus oder Peter Lustig. Heute führen solche Sendungen nur noch ein Schattendasein gegen Powerrangers, Teletubbies und ähnliche Komerzkacke, deren einziges Ziel es zu sein scheint, den Bürger schon vom Schnulleralter an zu einem möglichst denkbefreiten Konsumsklaven zu formen. In Sendungen wie GZSZ (‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten), DSDS (Deutschland sucht den Superstar) und den schon morgendlich beginnenden Talksendungen von Vera über Ricki bis Türk scheinen die Plattitüden und Klischees lediglich ihre perfekte Vollendung zu finden. Von der Realität des alltäglichen Lebens ist das dort gezeigte Programm mindestens ebenso weit entfernt wie wir von einer Besiedlung des Mars, auch wenn in beiderlei Beziehung uns gerne versucht wird, etwas anderes weis zu machen.

Musik unterliegt heute einer Inflation, wie wir sie beim Geld zuletzt in der Weimarer Republik erlebt haben. Wohin das geführt hat, sollte jedem, der die Schulzeit nicht nur dazu genutzt hat, den Schlaf nachzuholen, den er Nachts vor dem Fernseher versäumt hat, klar sein; die Ergebnisse von Studien wie Pisa &Co. lassen mich jedoch daran zweifeln ob heute noch viele wissen was die Weimarer Republik überhaupt war, geschweige denn das sie wissen was Pisa ist. Doch zurück zur Musik, die eigentlich diesen Namen kaum noch verdient hat, denn das was heute als Popmusik täglich auf den Markt geschmissen wird, klingt auch nicht viel anders als das was 3-5-jährige in der musikalischen Früherziehung zustande bringen. Dank modernster Sampletechnik und Stimmverbesserern wird das ganze dann noch auf ein geldbringendes Klangformat konvertiert und als vollkommen überteuertes Massenprodukt auf den Markt geworfen.

Selbst Bosse in der Musikindustrie haben schon ihre Kollegen zum Umdenken aufgefordert, heute sind sie arbeitslos. Denken scheint in einigen Bereichen nicht nur schwer sondern regelrecht verboten.

Insgesamt scheint mir die höchste Form des Seins, die ein Mensch heutzutage erreichen kann, die zu sein, eine möglichst unbedeutende, merkbefreite, verständnisresistente und konsumgeile Teilmenge eines künstlich Geschaffenen „Wir“ zu sein, das man gemeinhin als Gesellschaft bezeichnet. Die Individualität, die zu leben wir glauben ist dabei auch nicht mehr, als die von Marketingspezialisten entworfene Vakuumpumpe mit Direktanschluss an unser Portemonnaie. Denken scheint mindestens ebenso out zu sein wie das Interesse an Bildung oder Kultur. Das einzige was heute scheinbar noch zählt ist schon zu alten Spontizeiten treffend an dutzende Hauswände gesprüht worden:

Neue Heimat
schöner wohnen, bunter kaufen,
schneller ficken!

Wem das zu wenig Lebensinhalt ist, der kann es ja mal mit „denken“ probieren!

Aber Vorsicht: Eines der gefährlichsten Geräusche die man machen kann, ist laut zu denken!

Leinefelde im Sommer 2004

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