Aimi – und doch wieder eine Katze

Nachdem ich meine Katzen, Avila, Tabea und Sabena im Zuge meiner Scheidung leider abgeben musste, wollte ich eigentlich keine Katze wieder haben. Zu sehr schmerzten die Erinnerungen, zu schwierig und ungewiss erschien mir auch auf Grund der privaten Situation die Frage, wirst Du eine Katze dauerhaft versorgen und ihr ein Heim bieten können.

Ich wollte mir nicht aus einer Laune heraus eine Katze anschaffen und dann verschlägt es mich vielleicht beruflich doch wieder irgendwo anders hin, wo mir das Halten einer Katze nicht erlaubt sein würde. Wenn ich mir je wieder ein Tier anschaffen wollte, dann nur dann, wenn ich mir vorher auch ganz sicher war, dass es bei mir sein ganzes Leben würde leben dürfen.

Aber wie heißt es doch so schön in einem alten Zitat von Wilhelm Busch:

„Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“

Bis zur vollständigen Renovierung der neuen Wohnung in Westerstede nächtige ich mal wieder in der Ferienwohnung meiner Eltern. Immerhin läuft der Mietvertrag in Leinefelde ja auch noch bis Ende Februar. Das muss ja auch alles irgendwie bezahlt werden.

Es ist natürlich schon stock duster, als es mit dem Auto abends spät nach Hause geht. Mehr als schlafen, frühstücken und schnell wieder zur Arbeit, anschließend weiter renovieren, tapezieren, streichen, Fußboden verlegen, geht im Augenblick wirklich nicht.

Über die Landstraßen geht es nach Ostrhauderfehn. Im Scheinwerfelkegel eines entgegenkommenden Fahrzeugs sehe ich eine Katze auf die Straße springen. Viel zu spät, zu knapp um es noch vor dem Verkehr sicher über die Straße zu schaffen.

Es ist zu knapp. Die Frontschürze des entgegenkommenden PKWs erwischt die Katze, sie verschwindet unter dem Fahrzeug. Ich latsche voll auf die Bremse. Mich schockt jedes Tier, welches zermatscht oder breitgefahren an der Straße liegt. Ich kann da nicht hinsehen. Der Wagen der die Katze erwischt hat, fährt ungerührt weiter, nicht einmal ein winziger Moment der Verzögerung ist zu erkennen. Ich bremse weiter ab, um anzuhalten. Sehe wie die Katze sich aufrappelt. Sie ist nicht tot. Vielleicht ist sie nur verletzt. Im Dunkeln kann man das im Scheinwerferlicht schlecht sehen.

Es kommt wieder Gegenverkehr. Ich denke nur „Oh nein!“ da ist es schon zu spät. Wie der erste Wagen fährt auch dieser einfach über die Katze hinweg. Erwischt sie wieder mit der Frontschürze. Ich sehe im Licht meiner eigenen Scheinwerfer wie die Katze unter dem Auto herpurzelt. Das wird es wohl gewesen sein. Auch dieser Fahrer verzögert nicht einmal, fährt einfach weiter, dabei stehe ich doch schon auf seiner Gegenspur. Bemerkt er nicht einmal das?

Ich schalte den Warnblinker ein, steige aus. Wenigstens die tote Katze von der Straße räumen. Ich mag nicht morgen früh auf dem Weg zur Arbeit hier wieder vorbeikommen und dann ist sie vielleicht auf einen Quadratmeter platt und ausgewalzt auf der Straße verteilt. Sie wenigstens in den Graben schieben und ihren Leichnam der Natur überlassen.

Doch wo ist sie? Ich schaue mich im Licht meiner Scheinwerfer um. Sie liegt nicht mehr auf der Gegenspur. Sie lebt, soweit man das noch Leben nennen kann. Sie zieht eine Blutspur hinter sich her und es ist eigentlich eher ein wurmartiges, kriechendes sich fortbewegen. Ein Körper der in den letzten Zügen seines kurzen Lebens dahinzuckt.

„Du musst sie erlösen!“ schießt es mir durch den Kopf. Eigentlich richtig. Sie verreckt gerade direkt vor meinen Augen hier jämmerlich irgendwo auf einer Landstraße im Ammerland. Doch ich bringe das nicht fertig. Es wäre so einfach. Den großen Radschlüssel aus dem Werkstattwagen einmal drauf und es ist vorbei.

Ich kann es nicht.

Bis zu Beate, Freundin meiner Eltern, Tierärztin, bei der auch schon unsere letzten drei Katzen ihre Erstuntersuchung hatten, sind es nur rund 20 Kilometer. Ich fahre direkt an ihrer Tür vorbei. Vielleicht schafft die Katze es bis dahin.

Es ist mehr die Feigheit davor die Entscheidung über Leben und Tod selber fällen zu müssen. Vielleicht erledigt die Zeit ihren Job bis dahin auch von ganz alleine.

Ich nehme eine alte Decke, in die wir normalerweise IT-Systeme einpacken um sie vor Beschädigung zu schützen und lege die Katze darauf, so blutet sie nicht das ganze Auto voll. Fahre los, nein rase in Richtung Ramsloh. Rufe meine Eltern an, denn die Nummer von Beate habe ich natürlich nicht in meinen Kontakten und erst recht nicht im Kopf. Bitte meine Mutter darum Beate zu informieren. Ich bin mir sicher, auch wenn es schon spät ist, sie wird helfen, wenn sie kann. Und wenn sie nur dem Leiden ein Ende bereitet.

An der Praxis ist nur ihre Tochter, noch ein Teenager, aber sie weiß vom Anruf meiner Mutter, hat selber ihre Mutter informiert, die bei einer Freundin den Abend verbringen wollte und nun wegen mir und der sterbenden Katze im Kofferraum nach Hause eilt.

Ich bringe die Katze in die Praxis. Sie atmet tatsächlich noch, wenn auch schwach. Sie hat viel Blut verloren. Die Decke und auch der ganze Kofferraum des Firmenwagens sind versaut. Blut läuft aus Nase, Ohren und auch aus dem After. Offene Wunden hat die Katze scheinbar jedoch nicht. Erst jetzt wird mir klar, wie klein sie noch ist. Sie kann nur eine späte Herbstkatze aus dem vergangenen Jahr sein.

Vermutlich nur deshalb haben die Autos sie nicht voll erwischt. Beate kommt hinzu. Die Katze wird untersucht. Es klingt wie ein Wunder. Sie hat offensichtlich keine Knochenbrüche. Beate vermutet aber schwerste innere Verletzungen. Sie wird vermutlich innerlich verbluten. Aber vielleicht hat sie doch noch eine Chance.

Beate spritzt ihr Morphium. „Nun ist die Kleine vollgedröhnt. Wenn sie jetzt an den inneren Blutungen verstirbt, dann ist das wie einschlafen. Sie wird es gar nicht merken. Aber mal sehen, vielleicht erlebt sie ja den morgigen Tag noch, und dann sehen wir mal weiter.“

Ich fahre weiter. Ich gebe der Katze in Gedanken keine ganze Nacht mehr. Trotzdem bin ich froh mich so entschieden zu haben.

Ich höre ein paar Tage nichts von Beate, bin gedanklich längst wieder bei Teppich oder Parket und den Farben für die Tapeten, da erreicht mich ein Anruf meiner Mutter, ich solle mich doch mal bei Beate melden.

„Willst Du deine Katze gar nicht wieder haben? Die ist so putz munter, die will nach Hause!“ ist ihre Frage am Telefon.

„Meine? Das ist doch gar nicht meine Katze, ich habe sie doch nur überfahren auf der Straße gefunden und sie zu Dir gebracht!“

„Na dann ist es jetzt doch Deine Katze!“

Ja, so geht einem dass, und schon hat man doch wieder eine Katze.

Hier auf den Bildern ist sie schon etwas älter, so ca. 2 Jahre alt. Andere Bilder habe ich leider nicht.

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Aimi auf dem Kleiderschrank. Da saß sie früher besonders Morgens immer und wartete darauf dass der Wecker klingelte, dann sprang sie von oben zu mir ins Bett. Frei nach dem Motto, „jetzt aber raus!“ Am liebsten direkt auf mich drauf. Manchmal hatte ich das Gefühl die wartete nur darauf, dass ich sie auf dem Schrank bemerkte, nur um dann erst recht zu springen. 😉

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Dabei wollte sie eigentlich nur eines, das Bett für sich!

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